Kapitelsaal und die historischen Fenster
Der Kapitelsaal im Juli 2014
Eine kostbare Fracht aus dem Kapitelsaal auf Reisen
360 Jahre alte Fensterscheiben – ein Schatz im Verborgenen
Versammlung des Fördervereins 2012 - im Rahmen der 1200-Jahrfeier des Münsters St. Bonifatius hatten Fachleute für historische Glasmalerei das Münster besichtigt. „Sie waren unter Anderem von Glasmalereien im Kapitelsaal beeindruckt“, berichtete Ruth Hegemann als Vorsitzende des Bauausschusses der Münster-Gemeinde in einer Sitzung.
Der Kapitelsaal 1930 Zur Klärung der nahe liegenden Frage: „Seit wann befinden sich diese bemalten Glasscheiben im Kapitelsaal?“ trägt eine Postkarte mit Blick in den Kapitelsaal bei. Doch auf dieser Fotografie ist die gesuchte Glasmalerei nicht zu erkennen
(Quelle Stadtarchiv, Aufnahme 20. Jhdt.).
[n][Size-1]Das Merkertfenster nach der Renovierung[/size][/b]
2014 - für das Frühjahr dieses Jahres veranlasste der Kirchenvorstand die Reparatur sowie Restaurierung der bleiverglasten Fenster in Kapitelsaal und Krypta. Die gläserne Fracht wurde von Restaurierungsexperten der Firma Schneemelcher aus Quedlinburg vor Ort in Obhut genommen, fachmännisch bearbeitet und Anfang April d. J. wieder im Münster eingebaut.
„Bierscheiben“ in einem kirchlichen Raum?
In jüngerer Zeit haben vermutlich die vier kleinen, bemalten Glasscheiben im Kapitelsaal (Abmessungen ca. 50 x 60 cm) nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Leider sind keine Dokumente bekannt, die Herkunftsort und ursprüngliche Abmessungen der mit Namen und Jahreszahlen versehenen sogenannten „Bier- oder Kabinettscheiben“ preisgeben. Denn es könnte sich bei diesen Gläsern auch um Teile größerer Scheiben bzw. Teile einer Serie handeln. Vor deren Einbau ist auch eine profane Verwendung im nichtkirchlichen Bereich denkbar. Doch auch die im Kapitelsaal und im gesamten Kirchenraum vorhandenen größeren, bleiverglasten Flächen, die keine Bemalung aufweisen, sind von Interesse. Zwar durch Bleieinfassungen in Spitzrautentechnik stark gegliedert, bilden sie trotzdem in ihrer Wirkung die „ruhigen“ Fensterflächen. Ein Gestaltungsprinzip, wovon nur die von Künstlerhand entworfenen Fenster im Kirchenraum ausgenommen sind. Besonders die Glasmalereien des 17. Jhdts. im Kapitelsaal können dadurch ihre „zarte“ Farb- und Formwirkung entfalten. An dieser Stelle herzlichen Dank an Hans-Georg Artmeier für diesen Hinweis. Sein Glasereifachbetrieb aus Aerzen-Gr. Berkel, zuvor Hameln, hatte bei der großen Münsterrenovierung (1973 bis 1975) auch die Restaurierung der Glasfenster im Kapitelsaal ausgeführt.
Die einzelnen Scheiben
Die Jahreszahlen 1654 finden sich als identische Jahresangaben auf den beiden Scheiben mit den Namen „Johan Böker“ und „Adam Matthi a g . 16-54“.
Nach Recherchen enthält das Sterberegister in Exten (Stadt Rinteln) für den Namen Johan Böker einen Eintrag für April 1617 als Geburts- und Taufdatum. Es kann angenommen werden, dass alle vier Stiftsherren – Adam Matthi, Melchior Merkert, Henricus Steinbrügge und Johan Böker - Mitte des 17. Jhdts. Mitglieder des Stiftskapitels am lutherischen Münster St. Bonifatius gewesen sind. Der Grund für den Einbau der Scheiben kann in der besonderen Position der vier Stiftsherren am St. Bonifatius Stift gelegen haben. Unbeantwortet bleibt, aus welchem Anlass gerade das Jahr 1654 für die Anfertigung zweier Scheiben gewählt worden ist.
Zum Zustand der Scheiben: Die Gläser von „Adam Matthi“ und „Melchior Merkert“
weisen Sprünge sowie abgebrochene Ecken auf: Auf einer vierten Scheibe ist der Name „Henricus Steinbrügge“ verzeichnet. Bei „Melchior Merkert“ und „Henricus Steinbrügge“ fällt die einheitliche Form des Schriftzuges auf. Gleiches gilt für „Johan Böker“ und „Adam Matthi“. Figürliche Darstellungen (heraldische Zeichen?) sind jeweils farbig bzw. in Grau-Weißabstufungen (Grisailletechnik?) gefasst. Die Schriftzüge selbst wirken nach über 360 Jahren wie auf einem Dokument geleistete Unterschriften.
Der Einsatz von „Goetheglas“ im Kapitelsaal
Frühjahr 2014 - nach Restaurierung und Wiedereinbau der gläsernen Scheiben stellt sich u. U. bei dem „Adam-Matthi-Glas“ eine optische Täuschung ein. Der Betrachter könnte annehmen, dass die Glashandwerker diesen Fensterflügel nur teilweise restauriert haben. Die linke obere Ecke scheint nach wie vor zu fehlen. Genau das Gegenteil ist der Fall. Zur Wetterseite hin wurde eine farblose, gezogene Spezialglasscheibe vor die gesamte Fläche der historischen Fensterscheibe eingesetzt. Dieses Restaurierungsglas – auch als „Goetheglas“ bezeichnet – dient als Außenschutzverglasung. Mit einer vorindustriellen Fertigungsweise wird eine unregelmäßige Oberfläche erreicht. Um die Schließdichte der historischen Fenster zu verbessern, sind auch die eisernen Fensterrahmungen repariert worden. Die einflächigen Fensterflügel (Mitte der 1967 eingebaut) sind als Schutz zum Rauminnern verblieben.
Wandel der Fensterformen
Auf einer Lithographie vom Münster St. Bonifatius von Louis Nibour (1830, Quelle Stadtarchiv) ist in der Nordwand des Kapitelsaals, in welcher sich die besagten Scheiben befinden, nur ein kleines Fenster erkennbar. Es entspricht in Form und Abmessung nicht den uns vertrauten Fenstern im Kapitelsaal. Allerdings zeigt die Lithographie eine rechteckige Fensteröffnung in der östlich gelegenen Wand. Auf Grund dieser Darstellung kann die Aussage getroffen werden: Die heute bekannten Fensterformen in Kapitelsaal und Dachgeschoss sind jünger als 1830. Da die Fenster im Untergeschoss auf der Lithographie durch Bäume verdeckt sind, kann eine Datierung sowie Aussage über die Anzahl der Fenster im Untergeschoss nicht vorgenommen werden. Ob die mit Sandstein gefassten Fensterrechtecke auf Conrad Hases Bautätigkeit in den Jahren 1870-75 zurückgehen, muss noch untersucht werden. s. link Kapitelsaal
Die 1960er Jahre – ein Blick in den Kapitelsaal
Interessant wäre es zu erfahren, wann die bemalten Scheiben an dieser Stelle erstmals bzw. wieder eingebaut worden sind. Und weiter, wo hatten diese Gläser vorher ihren Platz? Denn die bereits erwähnte Ansichtskarte des Kapitelsaals (vermutlich Mitte der 1930 Jahre aufgenommen) zeigt einheitlich in Spitzrautentechnik gefertigte Fenster in Klarglas.
Im Unterschied dazu eine ähnliche Ansicht aus Mitte der 1960er Jahre. Auf ihr sind – zwar nur schemenhaft - Glasmalereien zu erkennen (Quelle Gemeindechronik). Vergleichen wir in einem dritten Schritt die Aufnahme aus den 1930er Jahren mit dem heutigen Zustand der Fenster. Es wird deutlich, dass die steinernen Fensterlaibungen eine veränderte Form aufweisen. Das lässt für die Zeit nach 1930 Rückschlüsse auf Reparaturarbeiten am Mauerwerk des Kapitelsaals zu, die möglicherweise auf Grund von Kriegsfolgen 1945 durchgeführt werden mussten: Anfang April 1945 - Sprengung des westlichen Teils der Weserbrücke sowie Beschuss am Münsterkirchhof gelegener Häuser. Die Gebäude Nr. 5, 6, 6a und 13 waren bis zu 90% beschädigt (Quelle Stadtarchiv)
Der Kapitelsaal – ein Raum wie jeder andere?
Die Nutzung des Kapitelsaales steht in der Tradition seiner vorreformatorischen Erbauer sowie der lutherischen Stiftsherren. Bei Andachten und Zusammenkünften erfahren zahlreiche kirchliche Gruppen im Münster die spezifische Atmosphäre dieses mittelalterlichen Raumes. Dieser neben dem Hohen Chor gelegene Raum des Münsters sei für sie stets etwas Besonderes gewesen, berichten ältere Gemeindemitglieder. Sie hatten noch im Kapitelsaal Konfirmandenunterricht erhalten.
Kirchenvorstand und Bauausschuß der Münster - Gemeinde bedanken sich bei Frau Dr. M. Müller für die Aoutorenschaft und die Recherchen zu dieser Seite.
Für die Fotos auf dieser Seite bedanken wir uns bei H. Müller und P. Gigger für die Unterstützung bei D.Knorn; die Lithographien entstammen dem Stadtarchiv der Stadt Hameln, die Schwarz-Weiss Bilder auf dem rechten Rand entstammen dem Archiv der Münster - Gemeinde.